14. Spieltag SG Dynamo Dresden – Fortuna Köln Hebenstreits Farbenlehre

Hebenstreit hatte ein bisschen ein schlechtes Gewissen. Schon vier Mal hatte er in dieser Saison gegen die Satzung der SGD verstoßen und das Team ganz in Gelb aufs Spielfeld geschickt. Klar, gegen Wiesbaden, Großaspach und Halle wären die weinroten Auswärtslaibchen vom Schiedsrichter nicht akzeptiert worden, weil die Kontrahenten mindestens zum Teil selbst Rot trugen. Aber in Freiberg half ihm diese Ausflucht nicht wirklich. Dabei hatte er es nur gut gemeint und gedacht, wie seltsam es doch gewesen wäre, wenn beim schwarz-gelben Fußballfest in der Bergstadt so gar nichts Gelbes auf dem Spielfeld gestanden hätte. Und mit den schwarzen BSC-Hosen war ja dann wirklich so eine Art schwarz-gelber Symbiose entstanden.

Aber nun fürchtete er Ronnys Rache in vier Wochen bei der Mitgliederversammlung. Zwar konnte er darauf verweisen, dass die Fans selbst vor lauter Fußballglück ihre schwarzen Hosen fallen ließen und seinen Satz, dass nicht die Farbe der Hose entscheidend sei, sondern ob Eier drin sind, mit prallem Leben erfüllten. Aber ob ihn das bei solch fortlaufenden Satzungsverstößen wirklich vor Sanktionen des prinzipienfesten Teils der Fanszene bewahren würde? Er sah schon das Spruchband vor sich: „Maik, du hast eine Stunde Zeit, die Hosen zu färben, sonst sind deine Eier dran.“ Mit den Jungs war nicht zu spaßen, wenn man ihren Anspruch ignorierte, die Geschicke des Vereins zu lenken. Zwar konnte er auf die Bilanz in „Gomblett Gelb“ verweisen – nicht verloren, drei Siege, ein Unentschieden – aber was heißt das schon, wenn die Tradition auf dem Spiel steht.

Zum Glück war das kommende Spiel ein Heimspiel, da war die gelbe Gefahr von vornherein gebannt. Er nahm die Sondertrikots von der Leine – selbstverständlich wurden die Trikots vor dem ersten Tragen gewaschen, nicht dass die Tattoos der Spieler noch von irgendwelchen Abfärbungen beeinträchtigt wurden – prüfte nochmal den Farbton, packte die tiefschwarzen Hosen dazu und trug die Klamotten in die Kabine, um sie an den Plätzen der Spieler aufzuhängen.

Da er das schon seit zig Jahren machte, kam er schnell voran. Plötzlich stockte er. Am Platz, wo er gerade die Ausrüstung mit der Nr. 34 aufhängen wollte, hing schon ein rot-schwarz quergestreiftes Trikot mit der 22. ‚Ach, der Marvin‘, dachte Hebenstreit. ‚Schwelgt noch in Nati-Träumen.‘ War aber auch ein Ding, dass es nach sechs Jahren mal wieder ein Goldfüssl in den Kreis der Erlauchten geschafft hatte. Bloß gut, dass der Junge am Ende der letzten Saison sich hatte keine Flausen in den Kopf setzen lassen und weiter lieber Feldschlösschen als Rote Brause trank. Auch so hatte der Trip zur U20-Nationalmannschaft ihm Flügel verliehen.

Damit er die im rauen Drittliga-Alltag nicht allzu schnell wieder hängen ließ, hatte Hebenstreit sich etwas ausgedacht. Mit einem Edding malte er auf beide Fußballschuhe des Youngsters eine kleine 22 genau an die Stellen, mit denen man den Ball treffen musste, wenn er unhaltbar in die Maschen rauschen sollte. Als Marvin mit der Mannschaft auf das Feld zum Warmmachen kam, grinste er breit und zwinkerte Hebenstreit zu. Reichlich zwei Stunden später holte ihn der Trainer in der 82. Minute vom Feld. Er hatte das 1:0 für Eilers aufgelegt, das 2:1 selbst erzielt und den Elfmeter zum 3:1 rausgeholt. Nach dem 2:1 war er zu Hebenstreit gelaufen und hatte ihn umarmt. Seine hoch erhobenen Arme mit den ausgestreckten Zeige- und Mittelfingern deutete das Stadion als Victory-Zeichen. Nur Hebenstreit und er wussten, dass die 22 gemeint war. Als die Reporter ihn nach dem Spiel nach den Unterschieden zwischen seinem ersten und dem zweiten Profitor fragten, sagte Marvin nur: „Eigentlich war nur die Farbe der Hosen unterschiedlich. Aber das ist mir egal. Hauptsache drin.“ Hebenstreit stand im Hintergrund und grinste. Seine Furcht vor der Mitgliederversammlung war verflogen.
This contribution was last edited by Zostl on Oct 17, 2014 at 6:40 AM hours